Lou Andreas-Salome und Rilke by Wendt Gunna

Lou Andreas-Salome und Rilke by Wendt Gunna

Autor:Wendt, Gunna
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Insel Verlag
veröffentlicht: 2012-02-14T16:00:00+00:00


Egoistin

Auf einer Berghütte in der Hohen Tatra liegt ein Gästebuch aus, das das Interesse einer Bergwanderin hervorruft. Sie möchte wissen, wer, was und woher die jungen Männer sind, die sich gleich nach ihrer Ankunft eingetragen haben: Dr. Hugo Lengner, Literat, Wien; Max Winowsky, Poet, Prag, ist dort zu lesen. »Dann schreibt sie mit großen klaren Buchstaben darunter: Helga v. S., Egoistin, Stockholm«.

Diese Szene schildert Frieda von Bülow in ihrer Novelle Zwei Menschen, die im November 1897 in der Deutschen Zeitung erschien, also zu der Zeit, als Lou Andreas-Salomé und Rainer Maria Rilke in Berlin wohnten, nachdem ihre Liebe in München begonnen und in Wolfratshausen ihre erste Hochphase gefeiert hatte. Frieda von Bülow war Zeugin dieser Entwicklung gewesen, hatte das heftige Werben des jungen Dichters, das anfängliche Zögern der Angebeteten und den unerwarteten Wendepunkt, die Explosion der Gefühle, aus nächster Nähe miterlebt. Es war nicht die erste Liebesaffäre ihrer Freundin, die sie in den mittlerweile fünf Jahren ihrer Freundschaft als wichtige Gesprächspartnerin begleitet hatte, doch sie nahm von Beginn an eine Sonderstellung ein.

Die Vorlage für die Schlüsselerzählung Zwei Menschen bildet Lou Andreas-Salomés Begegnung mit dem Journalisten Paul Goldmann. Die beiden hatten sich 1894 in Paris kennengelernt, wo Goldmann als Korrespondent der Frankfurter Zeitung tätig war. Damals wurde er in Lou Andreas-Salomés Tagebuch beinahe täglich erwähnt. Lou wußte, daß ihre Freundin darüber schreiben wollte. In ihrer Korrespondenz betitelte Frieda von Bülow ihre Erzählung als »die Goldmanniade«. Sie war in die Schwierigkeiten der Liaison eingeweiht. Am 19. Juni 1894 ergriff sie in dieser Sache deutlich Partei. Sie antwortete auf einen Brief, in dem Lou ihr berichtet hatte, ein Schreiben Goldmanns habe sie in »schauderhafte Stimmung« versetzt. »Was geht mich Goldmann an und seine eventuellen Schmerzen?« fragte Frieda. »Du bist der wertvollere Mensch, sowohl für mich als absolut. Natürlich ist es richtig, daß Du Dich auslebst, wie Deine Natur es will, auch auf Kosten anderer.«

Doch ganz konfliktfrei und im Gleichklang dürfte auch das Verhältnis der beiden Freundinnen nicht gewesen sein, und so bot die literarische Verarbeitung der Geschehnisse für Frieda von Bülow die Möglichkeit, Lous Verhalten indirekt zu kritisieren. Nicht nur die weibliche Protagonistin Helga v. S., auch die männlichen Figuren der Novelle haben reale Vorbilder: die beiden damals noch unbekannten Wiener Dichter Arthur Schnitzler und Richard Beer-Hofmann sowie den Wiener Arzt Friedrich Pineles, der Zemek genannt wurde. Lou Andreas-Salomé hatte ihn 1895 kennengelernt, er wurde ihr Liebhaber und Reisegefährte durch ganz Europa.

Mit den Worten »Mein oberstes Lebensbedürfnis ist die Freiheit« beginnt das Plädoyer in eigener Sache, das Frieda von Bülow ihre Protagonistin Helga v. S. halten läßt. Es liest sich wie ein Bekenntnis aus Lou Andreas-Salomés Feder: »Ich kann nicht das Leben hinnehmen, wie es zufällig kommt; mir selbst schaffen will ich es – gestalten nach meinem Bedarfe. Was ich dazu brauche, muß ich mir nehmen dürfen. So ist es herrlich! Meine Eltern wissen, daß ich nicht anders leben kann und mag, und sie lassen mich tun, was ich will. Opposition würde ihnen auch nichts helfen, denn ich bin so fest entschlossen, mich nicht einengen zu lassen, daß ich, wollte man Zwang anwenden, morden würde.



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